Rosa von Tannenburg

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Original von Christoph von Schmid;
Nacherzählt von Ingrid Stehle

"An den südlichen Grenzen Schwabens, in jenen malerischen Gegenden voll blühender Taler und waldiger Berge, hinter denen sich in blendend weißer Pracht die Schneegebirge der Schweiz erheben, stand vor alter Zeit auf einer hohen, mit Tannen bewachsenen Felsspitze das ansehnliche Schloss Tannenburg. Noch Jahrhunderte nachdem es zerstört worden, machten die zerfallenen Turme und die bemoosten Mauern, zumal wenn sie von der untergehenden Sonne gerötet oder von dem Mondlichte blass beleuchtet waren, einen eigenen Eindruck auf das Gemüt des Wanderers. Er segnete in seinem Herzen die edlen Menschen, die ehemals hier gewohnt und weit umher die ganze Gegend beglückt hatten, und setzte, von dem schauerlichen Gefühle der Vergänglichkeit aller irdischen Dinge ergriffen, seinen Stab weiter.

Auf diesem Schlosse lebte ehemals Ritter Edelbert mit seiner Gemahlin Mathilde in der seligsten Eintracht. Edelbert war ein sehr tapferer Ritter. So rau aber sein Beruf war, Schwert und Lanze zu führen, so sanft und mild war sein Sinn. Unter dem eisernen Panzer schlug ein Herz voll Menschlichkeit. Er war ein frommer Herr, ein echt deutscher Mann, ein gütiger Beherrscher seiner Untertanen. Der Herzog von Schwaben ehrte ihn als seinen Freund, und selbst der Kaiser hatte ihn vor allen übrigen Rittern sehr rühmlich ausgezeichnet. Mathilde, Edelberts Gemahlin, galt wegen ihres Verstandes, ihrer Frömmigkeit, ihrer Tugend, ihrer Wohltätigkeit gegen die Armen für die vortrefflichste Frau weit umher; überdies war sie von ganz ausnehmender Schönheit. Ritter Edelbert befand sich in jenen unruhigen, kriegerischen Zeiten wenig auf seinem Schlosse; er begleitete den Herzog auf dessen Kriegszügen und war oft jahrelang im Felde. Mathilde fand während der Abwesenheit ihres Gemahls die besten Freuden in der Gesellschaft ihres einzigen Kindes, eines Töchterleins, das Rosa hieß und an trefflichen Geistesgaben und an Schönheit der Gestalt der Mutter glich. Dieses hoffnungsvolle Kind gut zu erziehen, war die größte Angelegenheit der liebenden Mutter. Ihre Erziehungsart war sehr einfach, aber vortrefflich; da sie selbst von Herzen fromm und gut war, so konnte es ihr nicht schwer werden, auch ihre Tochter fromm und gut zu erziehen". Soweit die erste Seite des 160 Seiten umfassenden Büchleins.

Dem Sinn nach geht der Inhalt folgendermaßen weiter:
Die Mutter lehrte Rosa in ihrer trauten Zweisamkeit die Schönheiten der Natur zu erkennen und zu schätzen, sich in Bescheidenheit zu üben, gehorsam zu sein, den Eltern und den Mitmenschen gegenüber Achtung zu wahren, den Armen mit Gutherzigkeit zu begegnen, sich um Kranke zu kümmern, Gerechtigkeit zu erkennen und gegen Ungerechtigkeiten anzugehen, kurzum als guter Mensch durchs Leben zu gehen und immer im Bewusstsein an Gott zu leben, der alles Leben und die Schönheiten der Natur geschaffen hat.

Bis zu ihrem 14.Lebensjahr hat Rosa diese fürsorgliche Erziehung der Mutter begleitet. Dann erkrankte die Mutter plötzlich. Ein Bote wurde losgeschickt, um Edelbert vom Kriegszug heimzuholen. Nachdem sie ihrem Gatten Edelbert nochmals mit vielen guten Worten die Erziehung der Tochter Rosa weitergegeben und die Tochter ermahnt hatte, all das Erfahrene nun mit ihrem Vater weiterzuleben, verstarb Mathilde von Tannenburg. Ritter Edelbert und Rosa waren über den Verlust sehr traurig. Jeder versuchte den anderen zu trösten. Rosa indem sie ihren Vater gut versorgte und Ritter Edelbert indem er seiner Tochter Geschichten aus seinem an Erfahrung reichen Leben erzählte, die Rosa so gerne hörte.

So saßen sie an einem Abend vor dem Kaminfeuer und Ritter Edelbert versuchte Rosa zu erklären, warum er, der sonst überall beliebt war, ausgerechnet zu seinem nächsten Nachbarn, dem Ritter Kunerich von Fichtenburg keine freundschaftliche Beziehung hatte. Er erklärte Rosa, das diese Zwistigkeit bis in seine Kindheit zurückginge, als er und Kunerich mit ihren Eltern am Hof des Herzogs verkehrten. Kunerich sei als Knabe schon sehr eigensinnig, aufbrausend und ruhmredig gewesen und war deshalb bei dem Herzog nicht beliebt; und da hasste und beneidete er Edelbert, weil er ihm vorgezogen wurde. Als sie zu rüstigen Jünglingen herangewachsen waren und wehrhaft wurden, mussten sie auf einem Turnier, das der Herzog für den jungen Adel veranstaltete, ihre Geschicklichkeit in der Führung des Schwertes und der Lanze das erste Mal öffentlich zeigen. Edelbert erhielt den ersten Preis, ein Schwert mit einem goldenen Griff; Kunerich hingegen erhielt den letzten Preis, ein Paar silberne Sporen. Von dieser Zeit an hasste er Edelbert noch mehr. Aufs höchste aber stieg sein Hass auf ihn, als der Kaiser Edelbert nach einer großen Schlacht ein goldenes Ehrenzeichen umhängte; dem Kunerich aber, durch dessen Unbesonnenheit und Ungestüm die Schlacht beinahe verlorengegangen wäre, einen derben Verweis gab.

Und dann die Geschichte mit Burkhard, dem wackeren Kriegsgefährten von Edelbert, der auf seinem kleinen Gütlein in den Waldungen an der Grenze zur Fichtenburg lebte. In den Waldungen der Fichtenburg gab es allerlei Wild, das dem Burkhard auf seinem Feldern viel Schaden anrichtete. Burkhard beklagte sich bei Edelbert von Tannenburg darüber und kam mit Ritter Edelbert überein, dass er das Wild erlegen und auf der Tannenburg abliefern solle. Davon erfuhr Kunerich von Fichtenburg, fühlte sich bestohlen und überfiel Burkhard zu Hause, schleppte ihn mit und wollte ihn "in dem fürchterlichsten Kerker zu Fichtenburg unter Kröten und Unken verschmachten lassen". Die Frau des Burkhard aber lief schnell zur Tannenburg, um Hilfe zu holen. Kunerich und seine Gefährten waren indessen mit dem Karren, auf dem der arme Burkhard festgebunden war, in der Mühle im Föhrengrund eingekehrt, um den gelungenen Überfall zu feiern. Edelbert hingegen heckte umgehend einen Plan aus, wie er mit seinen Reitersknechten dem Kunibert seinen Raub abjagen konnte, bevor dieser die Fichtenburg erreiche. Ein Platz, an dem Kunerich auf seinem Weg zur Burg vorbeikommen musste, war bald gefunden. Betrunken lärmend kam Kunerich mit seinem Gefolge vorbei und Edelbert hatte leichtes Spiel; Burkhard zu befreien. Kunerich aber, der Edelbert erkannt hatte, hasste diesen um so mehr. Er drohte sowohl Burkhard als auch Edelbert Rache. Burkhard zog aus Angst weit in den Wald hinein, wo er künftig als Köhler arbeitete. Ritter Edelbert verdoppelte die Wachen in seiner Burg.

So ging wieder einige Zeit ins Land. Der Herzog hatte Ritter Edelbert auf einen Kriegszug mitgenommen, bei dem er sich am Arm verletzte. Liebevoll pflegte Rosa ihren Vater, aber die Verletzung war langwierig. Wieder bat ihn der Herzog um Hilfe gegen den Feind, doch Ritter Edelbert fühlte sich noch zu schwach, um Schwert und Lanze zu fuhren. Seine Betrübnis war groß, dem Herzog gegenüber seine Pflicht als Rittersmann nicht erfüllen zu können. Indes stellte er dem Herzog seine Krieger zur Verfügung und verabschiedete sie mit den Worten: "Seid gegen den Feind tapfer wie ein Löwe; gegen den friedlichen Landmann aber sanft wie ein Lamm".

Der Auszug von Edelberts mutigen Kriegern blieb natürlich auch Kunerich nicht verborgen und er nutzte die Stunde, da er seinen Todfeind verwundet und ohne Schutz auf seiner Burg wähnte. Er überfiel den wehrlosen Edelbert, ließ die Burg ausrauben, verjagte das Gesinde und nahm Edelbert mit, um ihn auf Fichtenburg einzukerkern. Alles Flehen und Weinen von Rosa half nichts. Sie durfte auch nicht mit zur Fichtenburg, sondern blieb allein und verlassen im Wald zurück. Sie verkroch sich unter den Büschen und wartete den nächsten Morgen ab.

In ihrer Verzweiflung fiel ihr die Köhlerfamilie mit Burkhard ein, von der ihr der Vater so viel Gutes erzählt hatte. Gleich zu Tagesbeginn machte sie sich auf die Suche und tatsächlich sah sie nach einiger Zeit Rauch aus einem Kamin aufsteigen, sie hatte die Köhlerwerkstatt gefunden. Wie bestürzt waren die guten Leute, als sie von dem Unglück hörten. Ohne viel Worte ward für Rosa eine kleine Kammer hergerichtet, liebevoll wurde sie verpflegt und getröstet. Jeden Tag brachte der Köhler frische Beeren und Früchte vom Wald, um Rosa eine Freude zu machen. Eines Tages hatte er eine besondere Köstlichkeit gefunden: Morcheln. Als sie zusammen zum Abendbrot die Morcheln verspeisten, erzählte der Köhler, dass er früher des öfteren solche Morcheln zur Fichtenburg gebracht habe und diese dort sehr gerne angenommen worden seien. Diese Worte brachten Rosa auf eine Idee. Schon lange hatte sie sich Gedanken gemacht, wie sie es wohl anstellen könnte, mit den Leuten auf Fichtenburg in Kontakt zu kommen, um evtl. erfahren zu können, wie es ihrem Vater erginge. Wenn sie nun die begehrten Morcheln und andere Köstlichkeiten des Waldes nach Fichtenburg brachte, käme sie sicher mit der Zeit mit den Bewohnern ins Gespräch. Die Köhlersleute ängstigten sich zwar und sahen allerlei Gefahren damit verbunden, doch als sie merkten, wie wichtig es für Rosa war, stimmten sie zu und begleiteten Rosa ein Stück. Und tatsächlich, auf Fichtenburg war man ganz glücklich, nach langer Zeit wieder köstliche Morcheln angeboten zu bekommen. Als Köhlermädchen verkleidet hinterließ Rosa mit ihrem angenehmen Wesen schon bald einen guten Eindruck bei der Torhüter-Familie. Besonders gut verstand sie sich mit deren zwei Kindern.

Als der garstigen Torhüter-Frau wieder einmal die Dienstmagd weggelaufen war, fragte diese Rosa bei ihrem nächsten Besuch, ob sie nicht zu ihr in Stellung kommen wolle. Rosa war natürlich sofort einverstanden. Der Gedanke, ihrem Vater damit näher zu sein, ließ sie die geringsten Arbeiten mit Freunde erledigen. Da sie fleißig und geschickt war, wurden ihr immer mehr Aufgaben übertragen. Eines Tages sprach der Torhüter zu Rosa:" Morgen muss ich im Auftrag von Ritter Kunerich los reiten, um Krieger für einen Kriegszug zusammenzutrommeln. Ich zeige Dir jetzt die Verliese mit den Gefangenen, damit Du ihnen während meiner Abwesenheit das Essen bringen kannst. Meine Frau fürchtet sich in den dunklen Kerkern". Rosas Herz klopfte wild, doch sie konnte sich die Freude über diese neue Aufgabe nicht anmerken lassen, die sie ihrem Vater wieder naher brachte.

Welch ein Schreck durchfuhr sie aber, als sie ihren Vater am nächsten Tag im Kerker sah. Traurig, bleich und mager saß er in seinem Verlies auf einem Stein, an den Füßen angekettet. Rosa brachte es nicht übers Herz, sich zu erkennen zu geben, zu groß war der Schreck über die Veränderung und den schlechten Zustand des Vaters. Von ihrem eigenen Essen sparte sie sich in den folgenden Tagen die besten Stücke auf und brachte sie bei ihrem Rundgang dem Vater, immer verbunden mit ein paar ermutigenden Worten. Als sie dann nach Tagen merkte, wie der Vater sich auf die freundlichen Begegnungen der Essensübergabe freute, fasste Rosa den Mut, sich zu erkennen zu geben. Rosa erzählte in allen Einzelheiten, wie sie zu der Anstellung bei der Torhüter- Familie auf Fichtenburg kam. Fassungslos, doch überglücklich über den Mut seiner Tochter erholte sich Ritter Edelbert schnell von seinem schlechten Zustand und gemeinsam schmiedeten sie Plane, wie sie sich aus ihrer verzweifelten Lage retten könnten.

Rosa verrichtete ihre Arbeit bei der Torhüter-Familie mit größter Sorgfalt, die Torhüter-Frau ihrerseits war froh, eine so gute Magd gefunden zu haben. Die Nachmittage verbrachte Rosa meist mit den Kindern im Garten des Schlosses. Des Öfteren gesellten sich wegen der guten Spiel-Ideen von Rosa auch die drei Kinder des Ritters Kunibert mit ihrem Kindermädchen Tekla dazu. Im Schlossgarten befand sich ein tiefer Brunnen.

Die Szene um den Brunnen beschreibt Christoph von Schmid folgendermaßen: "Mitten in dem großen geräumigen Schlosshofe befand sich ein prächtiger Brunnen. Er war mit einer Mauer von schön behauenen Steinen eingefasst und sechs schlanke Säulen trugen das hohe steinerne Spitzdach empor, das nach Art altertümlicher Münstertürme sehr kunstreich mit allerlei steinernen Verzierungen geschmückt war. Der Brunnen war von ganz ungemeiner Tiefe. Man hatte beinahe eine Viertelstunde zu tun, den einzigen großen Eimer vermittelst eines angebrachten Rades hinab und herauf zu winden. Die Fremden, deren gar viele die Burg besuchten, bewunderten alle den Brunnen als die größte Merkwürdigkeit der Burg. Um ihnen einen Begriff von der ungeheuren Tiefe des Brunnens zu geben, warf man kleine Kieselsteine hinab – und da war kein Reisender, der nicht erstaunte, wie lange es anstand, bis der Schall des hinab gefallenen Steines endlich heraufkam.

Auch stellte man eine brennende Kerze in den Eimer und ließ sie so hinab, und es war wundersam anzusehen, wie das Licht rings die Mauer, aus der hie und da ein grünes Kräutchen zwischen den Steinen herauswuchs, so schön beleuchtete, sich in jedem Tropfen der nassen Mauersteine spiegelte und zuletzt wie ein rötlicher Stern aus der tiefen Nacht hervorstrahlte. Die Leute, die zuzeiten hinabsteigen und den Brunnen ausbessern oder reinigen mussten, brauchten eine Menge Leitern, die sie an eigens dazu in die Mauer geschlagenen Haken befestigten. Es war eine alte Sage, wer sich, bevor der Brunnen mit einem Dache versehen worden, unten in dem dunklen Brunnen befand, habe am hellen Mittag die Sterne an dem blauen Himmel glänzen sehen. Die Kinder spielten auf dem grünen Platz vor dem Brunnen. Eberhard, der Knabe, warf zum Zeitvertreib Kieselsteine in den Brunnen; er suchte immer die Größten heraus, die er finden konnte, horchte aufmerksam, bis der Stein ins Wasser klatschte und hüpfte dann vor Freude. Als er dieses Spieles überdrüssig wurde und sich ein wenig von dem Brunnen entfernte, kam ein Vögelein geflogen, setzte sich auf den Rand des Eimers und weil, wie gewöhnlich, ein klein wenig Nasser in dem Eimer geblieben war, so flog es hinein, zu trinken oder sich zu baden. Der Knabe sah das Vöglein hinein fliegen. Wartet, sagte er, in seiner kindlichen Einfalt zu seinen Schwester, das Vöglein will ich jetzt leicht fangen. Habt nur wohl acht, das wird einen hübschen Spaß abgeben.

Er kletterte an der steinernen Einfassung des Brunnens hinauf, streckte den kleinen Arm nach dem Eimer aus, neigte, als er sein Ärmchen bei weitem zu kurz fand, sich immer weiter hinüber, bekam das Übergewicht - und stürzte hinunter in den schrecklichen Abgrund ! Die beiden Schwestern erhoben ein entsetzliches Jammergeschrei. Tekla, das Kindermädchen, war in die Schlossküche geschlichen, um dort zu naschen. Auf das Jammergeschrei der Kinder sprang sie erschrocken herbei. Gegen alle ihre Erwartung hörte sie auch den Knaben in dem Brunnen noch jammern und schreien. Sie schaute hinunter. Er war weit unten mit einem Flügel seines Kleides an einem Mauerhaken hängen geblieben. Allein sie stand da und wusste nicht, was sie anfangen sollte! Die Rittersfrau lag krank zu Bett und konnte nicht aus dem Zimmer; die übrigen Leute des Schlosses waren draußen auf dem Felde. Das zitternde, totenbleiche Madchen schlug die Hände über dem Kopf zusammen und rief laut jammernd Gott und alle Heiligen um Hilfe an".

Rosa hörte das Geschrei und eilte herbei. Schnell hatte sie den Ernst der Lage erfasst, drückte der verstörten Tekla die Kette des Wassereimers in die Hand und wies sie an, den Eimer ganz langsam hinunter zu lassen, sobald sie selbst in den Eimer gestiegen sei. Tekla gehorchte voller Angst, ließ den Eimer hinunter und wartete auf weitere Befehle, die Rosa aus der Tiefe geben wollte. Unter größter Anstrengung gelang es Rosa, den kleinen Eberhard von dem Haken zu befreien, der sich ängstlich wimmernd an sie klammerte. Schrecklich lange schien ihr die Zeit in dem dunklen Loch, bis sie nach oben ein Zeichen geben konnte, den Eimer vorsichtig hochzuziehen. Von den Schreien alarmiert waren inzwischen einige Leute zum Brunnen gelaufen, unter anderen die Mutter des kleinen Eberhard, Hildegard von Fichtenburg. Voller Bangen verfolgte sie die Rettung ihres Sohnes und schloss ihn erleichtert in die Arme. Rosa, die sich so tapfer verhalten hatte, wollte sie gleich mit in ihr Schloss nehmen. Rosa aber bat darum, weiterhin im Dienst bei der Torhüter-Familie bleiben zu dürfen, da sie in ihrem Innersten einen Hass gegenüber der Familie des Ritters Kunibert verspürte.

Hildegard von Fichtenburg kam mit Rosa überein, zu warten, bis Ritter Kunibert von seinem Kriegszug zurück kam. Er sollte entscheiden, in welcher Form Rosa ein gebührender Dank für diese mutige Tat zukommen sollte. Als Ritter Kunibert nach Hause kam, zeigte ihm Hildegard das Gewand, das Eberhard an seinem Unglückstag getragen hatte. Kunibert betrachtete den Riss sehr aufmerksam und sprach mit Entsetzen: "Es war höchste Zeit, dass Hilfe kam; nur mehr einige Fäden hätten brechen dürfen - und Eberhard wäre verloren gewesen. Die schnelle Entschlossenheit und der Mut des Mädchens gefallen mir ganz besonders. Hast Du sie auch dafür belohnt? "Das", sagte Kunerichs Gemahlin, "überließ ich Dir. Alles, was ich ihr hatte geben können, schien mir zu gering - ja gar nichts; denn sie wagte ihr Leben. Mir vergingen fast die Sinne, als ich sie so in dem Eimer über dem Abgrund schweben sah! So etwas lässt sich nicht mit einigen Goldstücken bezahlen. Ich verwies sie auf eine Belohnung von Dir. Ich hoffe, Du wirst mich nicht beschämen"!

Der Ritter war so gerührt wie noch nie in seinem Leben. Der ungestüme Mann wollte das Mädchen auf der Stelle sehen. Rosa ward gerufen. Mit bescheidenem Anstand trat sie herein in den Saal. Der Ritter grüßte sie mit dem lauten, freudigen Zuruf: "Willkommen, junge Heldin, willkommen, Du Retterin meines Sohnes! Ich bin Dir einen großen Dank schuldig. Denn ohne Dich wäre ich ein unglücklicher Vater! Der heutige frohe Tag wäre für mich ein Tag der tiefsten Trauer. Verlange, was Du willst und Du sollst es haben. "Ja", rief er, der nie gelernt hatte, seine Empfindungen zu mäßigen, im Übermaße seiner Vaterfreude laut aus: "Ich schwore es Dir auf meine Ritterehre, verlangtest Du auch eines meiner Schlösser - Fichtenburg oder Tannenburg - ich würde es Dir abtreten"!

Rosa sagte ruhig und mit Bescheidenheit: "Ihr habt ein großes Wort gesprochen, Herr Ritter. Ich könnte Euch um eine große Gnade bitten, und Ihr dürftet sie mir nicht abschlagen. Allein ich verlange keine Gnade, nur um Recht flehe ich Euch an! Gebt mir und meinem Vater zurück, was Ihr uns genommen habt!" "Wie ? Was ? Wie war das ?" sagte Kunerich betroffen. "Ich soll Euch beraubt und geplündert haben? Wer bist Du? Wer ist Dein Vater? "Ich bin Rosa von Tannenburg" sprach sie; Edelbert ist mein Vater. Entlasst ihn aus dem Gefängnis und gebt ihm seine Güter wieder zurück".

Das war ein harter Schlag für Kunerich. Er, der den Tag der Einnahme von Tannenburg und der Einkerkerung von Edelbert als den schönsten Tag in seinem Leben bezeichnete, sollte seinen Todfeind wieder freigeben. Nein, nicht um alles in der Welt würde er dies tun!

Hildegard von Fichtenburg appellierte an ihren Mann, doch bei aller Ehre nicht sein Wort zu brechen. Zwei befreundete Ritter, die bei den überschwänglichen Dankeswortes zugegen waren, zogen die Glaubwürdigkeit seiner Person in Zweifel, falls er nicht zu seinem Wort stehen würde. Kunerich war mit allen guten Worten nicht zu überzeugen. Mit halblauter Stimme sagte er: "Rosa mag die Tannenburg mit allem, was dazugehört, zurücknehmen. Aber Edelbert muss bleiben, wo er ist"!

Da wandte sind Hildegard ihrem Sohn zu und rief mit bewegtem Herzen: "Komm Eberhard, bitte Du Deinen Vater für Deine Retterin, dass er die Bitte nicht halb, sondern ganz erhöre! Der kleine Eberhard begriff sehr wohl, dass es von ihm abhänge, den erzürnten Vater wieder zu besänftigen. Er sprach mit leiser Stimme und Tränen in den Augen: "Lieber Vater! Sei nicht hart! Besinne Dich nicht so lange, Rosas Vater zu befreien. Rosa besann sich ja auch nicht, ihr Leben für mich zu wagen. Sieh, dieses gute Fräulein hat mich aus dem Brunnen gezogen; befreie nun auch Du den Ritter Edelbert aus dem Kerker. Sie errettete mich vor dem schauerlichen Tod im Wasser; lass nun ihren Vater nicht den traurigen Tod im Gefängnis sterben. "Halt inne! Es ist zuviel!" rief jetzt Kunerich. Er bemühte sich vergebens, die Tränen zurück zuhalten, die nach seiner Meinung einem Ritter nicht geziemten. Er sprach zu Rosa gewandt: " Euer Vater, Fräulein Rosa ist frei, und seine Burg gebe ich ihm mit allen Gütern wieder zurück. Ich habe ihm unrecht getan. Ein Mann, der eine solche Tochter erzog, kann kein böser Mann sein!" So zog Rosa mit ihrem Vater wieder nach Tannenburg und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.